Das Ohr

Hamburg
Begegnung: Aktionen / Netzwerke / Feste

In einem verwaisten gläsernen Kiosk in der U-Bahn Station Emilienstraße in Eimsbüttel wurden früher Getränke, Zigaretten und Süßigkeiten verkauft. Nun gibt das dort etwas viel Kostbareres, und das auch noch kostenlos: Zeit zum Zuhören. Als der freiberufliche Drehbuchautor Christoph Busch sah, dass der Kiosk zu vermieten war, entschloss er sich kurzerhand, den Raum anzumieten und dort mitten auf dem Bahnsteig seinen schriftstellerischen Platz einzunehmen. Sein Plan war, dort - weg vom eigenen Zuhause und Arbeitsplatz - an seinen Drehbüchern zu arbeiten und sich von dem ungewöhnlichen Ort und den Menschen um ihn herum inspirieren zu lassen. Doch er stellte schnell fest: Zum Schreiben blieb keine Zeit. Neugierig angezogen von dem Mann, der da nun regelmäßig in dem nur wenige Quadratmeter großen Glaskasten zu sehen war, sprachen ihn zahlreiche verwunderte Passanten an. Oft blieb es nicht bei der Frage, was sich hinter dem „Ohr“ verbirgt, sondern die Menschen fingen an, dem Unbekannten ihre Geschichten zu erzählen. Und so wurde der Autor zum Zuhörer.

„Ich höre Ihnen zu.“ steht mittlerweile auf einem der Plakate am Glaskiosk. Darunter ein großes gezeichnetes Ohr. Christoph Busch ist wochentags meist von 9.30 bis 15 Uhr anzutreffen. Interessenten können spontan vorbeikommen oder sich vorab mit ihm verabreden. Manchmal sind es nur kurze Begegnungen, immer wieder aber auch mehrstündige Gespräche. Die mögliche Anonymität ermutigt die Menschen, Dinge auszusprechen, die sie sonst niemandem anvertrauen würden. Hier kann man auch Unglück loswerden und es damit zumindest ein bisschen erträglicher machen. Im Kiosk gibt es keine Therapie, sondern ein intensives Gespräch von Mensch zu Mensch, Anstöße und Freundschaft auf Zeit - und manchmal auf länger.

Für Christoph Busch soll es jedoch nicht nur beim Zuhören bleiben: Er möchte die besonderen Beobachtungen und Gespräche nutzen, um den gesellschaftlichen Ursachen der Vereinsamung auf die Spur zu kommen und ein Buch über die Geschichten der Menschen schreiben.


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